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     und Foto: Stefan Jahnke

 

Leseprobe - Ramblarausch - Katalonien, Gaudi und Flamenco

 

Kapitel 6 - Don Bongo (Auszug)

Von der Fahrt nach Salou habe ich so gut wie nichts mitbekommen. Verrückte Sache aber auch! Doch ich bin zufrieden. Und Mutti sieht beim Aussteigen aus, als hätte sie tief und fest geschlafen. Die getankte Kraftreserve brauchen wir nun für das Abendessen.
Im Hotel wartet man schon auf uns. Na klar, die wollen irgendwann schlussmachen und wissen doch, dass da noch eine halb verhungerte Reisegruppe ankommt, die zum Teil gestern schon gezeigt hat, dass sie sich ganz schön ins Zeug legen kann, wenn es ums Essen geht.
Mir kommt es schon wie eine Ewigkeit vor. Nicht im Hotel. Eher in Spanien. Die vielen, teilweise ungewollten Eindrücke auf dem heutigen Ausflug machen es möglich. Ich bin froh, dass wir es so und nicht anders machten.

Nach dem Frischmachen geht es gleich hinunter ins Restaurant. Dort stehen schon alle vom Personal bereit und wollen uns helfen, die Teller zu füllen und dann schnell wieder zu leeren. Ich hoffe aber mal, dass die direkt hinter dem Buffet stehen, hat nichts damit zu tun, dass die gleich nach dem ersten Besuch dort vorn alles wegräumen. Wenn man uns schon so ein übervolles Buffet offeriert, wollen wir auch zwei-, dreimal dahin gehen und uns was nehmen können, oder?
Ich lade mir meinen Teller nicht zu voll. Die gebratenen Hähnchenflügel sehen irgendwie toll und lecker aus, riechen auch sehr gut. Die Soße, die wir uns über den… ich sage mal… Rinderbraten gießen sollen, hat nicht einmal ein einziges Fettauge. Bekommt man zuhause kaum hin, meint Mutti.
Heute nehme ich Reis. Lecker gemacht. Kein Klansch und nicht zu hart. Hinterher, als ich noch einen Gemüseteller gegessen habe, leiste ich mir ein Eis.
Die kleinen Becher erinnern mich an die DDR. Da gab es, wenn es sie denn gab, hin und wieder eben solche kleine Dinger mit Vanilleeis. Lecker schmeckte das. Und auch davon bekam ich selten genug.

Wir sind endlich fertig, haben auf Kosten unserer Zimmerrechnung noch etwas getrunken und wollen gerade gehen, als…
El Bongo… Don Bongo… Eben der Familienchef kommt mit der ganzen Familie im Schlepptau in den Raum, in dem nun mit unserem gerade noch drei Tische besetzt sind. Vorhin sah ich schon, wie das Personal einige Gäste an der Tür abwies, die sich vielleicht noch ein weiteres Mal bedienen wollten, und ein wenig freue ich mich jetzt schon auf die Abweisung dieses Mannes. Der ist für mich ein rotes Tuch. Lustig zwar, aber wenn man weiter drüber nachdenkt, ist das alles nicht zum Lachen…
Seine Familie, allen voran die redegewandte Frau, die gleich den Kindern auf die Finger haut, als das erste Mädel die Hand nach einer Boulette auf dem Buffet ausstreckt, quatscht in einem Fort. Nur ihr Mann vornweg scheint das nicht zu hören.
Er geht auf einen Tisch zu, der fast in der Mitte des Raumes steht.
Jetzt müssen die doch schnell man was sagen… der kann doch nicht… oder doch? Er gerade?
Er sitzt. Und er winkt lässig mit der rechten Hand. Schon platzieren sich seine Kinder um ihn. Die Mädels werden etwas zusammengestaucht. Natürlich von der Frau. Der Junge jedoch darf neben dem Vater sitzen und trägt tatsächlich ebenso wie der Vater ein kleines Goldkettchen um den Hals. Nein, nicht so eine Panzerkette, wie der Don, aber immerhin… eben eine Kette.
Don Bongo, den ich wegen seiner stets geschwellten Brust so nenne und der sich, weil er es ja nicht weiß, noch nicht darüber beschwerte, wedelt nun mit der Linken in der Luft.
Ich schaue auf das Personal. Einige Platten sollten gerade hinausgeschafft werden. Einer, wohl der Chefkellner, geht langsam und mit einer Serviette über dem Arm auf Bongos Tisch zu.
Das schwarzgelockte Haar des Mannes erinnert ein wenig an Costa Cordalis. Und dieses offene Hemd… Na ja, könnte auch der sein. Zumindest ähnlich, wie das Singlecover von ‚Ikarus', das irgendwo aus guten Intershopzeiten bei mir zuhause schlummert.
Oh, der hat gar eine Goldkette am Arm, der Bongo.
Nun wird man ihm wohl eindeutig sagen, das es nichts mehr gibt. Trotzdem sieht es irgendwie komisch aus.
Ich schaue weiterhin gebannt zu.
Der redet mit dem Kellner. Er redet… nicht nur Schnippen und eine Handbewegung. Er redet richtig. Ich verstehe nichts. Scheint auch kein Spanisch zu sein. Was ist das für einer? Ich dachte ja, Italiener.
Der Kellner zumindest zückt einen kleinen Block.
Bongo diktiert etwas.
Er muss nicht gehen? Das ist frech gegenüber den Anderen. Oder ist er Privatpatient?
Letztens habe ich gelacht, wenn ich die Geschichten von privaten Krankenkassen hörte. Müssen sich doch einige Unternehmer, zumindest die, die es werden wollten, gleich nach der Wende für eine private und nicht die staatlich verordnete Pflichtversicherung entschieden haben. Nur wussten sie wohl nicht, dass da die Beiträge jedes Jahr steigen können. Verflixte Kiste aber auch… Und schon hatten sie viel mehr Außenstände, als sie soundso schon hatten, weil Aufträge wegbrachen und die Kunden nicht zahlten. Das war sicher nicht zum Lachen. Aber wenn man sich einige Leistungen der privaten Kassen ansieht… na ja… was da so drin ist.
Privatpatient.
Nein, Bongo ist nicht in einer Klinik.
Privaturlauber? Ist er nicht mit einer Gruppe da?
Ich tippe immer noch auf einen Italiener. Die Art seiner Familie passt zu dem, was ich bisher von Italienern gehört und gesehen habe. Im Fernsehen natürlich. Süditalien… Sizilien oder so. Wird doch kein Mafiaboss sein, oder? Nun, nicht jeder Gutverdiener muss gleich zum organisierten Verbrechen gehören.

Bongo sitzt immer noch dort. Er hat Getränke bestellt und nun soll man sich am Buffet etwas aussuchen.
Auch das ist eine Geschichte für sich. Bongo geht als Erster. Und wer folgt ihm? Ich tippe auf die Frau. Weit gefehlt. Sein Sohn kommt und sucht sich leckere Dinge aus, die ihm sein Vater empfiehlt. Soweit so gut. Und nun?
Beide kehren mit übervollen Tellern zurück. Dem Jungen fallen sogar ein paar Reiskörner und fast noch ein Hühnerschenkel herunter. Das scheint niemanden zu stören.
Jetzt werden sich wohl die drei weiblichen Wesen etwas holen? Wäre an der Zeit.
Die Frau steht auf, geht los. Sie nimmt niemanden mit. Sie holt sich ihr Essen und schert sich nicht einen Moment um die Mädels, die noch immer dasitzen und am Saft nippen, den man ihnen brachte. Offensichtlich schmeckt er ihnen nicht. Der Sohn hat Cola, die sie wohl gierig, zumindest aber ein wenig traurig anstarren.
Dann, als Bongo seinen Teller fast zur Hälfte leergegessen hat, schickt die Frau die Mädels zum Buffet.
Was soll das? Was macht es für einen Sinn, dass die erst…?
Nein, die holen sich noch nichts. Die sollen… tatsächlich… die sollten Vater, Mutter und Sohn noch ein paar solche Hühnerschenkel holen. Und weiter hungern? Nein, sie dürfen… dürfen sich Reis und ein wenig Gemüse nehmen. Dann kommen sie zurück. Das Fleisch lassen sie liegen. Sie steigen zwar drum herum, lassen es aber. Abneigung, also vegetarische Züge, scheinen sie nicht zu haben. Bei dem Griff vorhin zur Boulette… Komisch und ein wenig traurig.
Nein, wir können jetzt nicht gehen. Dem Schauspiel müssen wir weiter zusehen, und auch wenn wir müde sind… wir bestellen uns noch einmal Getränke. Sonst haben wir kein Sitzrecht mehr.
Ich trinke heute ein Bier. Macht noch müder,erfrischt aber erst einmal ein wenig. Das brauche ich jetzt. Nicht den Alkohol… eher die Frische.

Bongo sitzt wie auf einem Thron. Die kleinere Tochter geht noch einmal, darf sich jetzt etwas von dem Geschnetzelten nehmen. Scheinbar ist das wirklich so… Ihr wird ganz klar gesagt, was sie sich holen soll. Und sie wagt nicht, davon abzuweichen. Dabei sagt man doch immer, dass die Südländer, wie sie immer sein mögen, sich besonders um Kinder kümmern, sie vergöttern und so weiter. Aber hier scheint das nur den Sohn zu betreffen. Vielleicht hängt das auch mit dem Alter zusammen? Oder endet die Vergötterung abrupt, wenn es einen Jungen gibt, also eine Art Thronfolger in der Familie? Ich will das mal so stehenlassen. Es gefällt mir ganz und gar nicht. Aber… na ja, wir sehen es ja vor uns.

Der junge Spross der Affenfamilie… ähm… von Bongo eben… der steht auf, holt sich noch etwas. Dabei scheint er sich wieder zu verschätzen, denn auf halbem Rückweg zum Tisch knallt ihm ein kleiner Becher runter, in dem man sich ein Dessert zusammenstellen kann, und verursacht natürlich nicht nur einen Kall, sondern ebenso einen unschönen Fleck auf dem Teppich. Der Anzugkellner winkt nur einmal und schon steht eine Putzkolonne bereit, die dieses Missgeschick beseitigt. Der Junge bedankt und entschuldigt sich nicht einmal, sondern geht zum Tisch, stellt wütend seinen Teller hin, dass vielleicht gleich noch ein wenig Soße auf das Tischtuch schwappt, und geht noch einmal zurück, um sich ein neues Dessert zusammenzustellen. Dabei tritt er fast einen der Putzis.

Während die Männer weiteressen, die Frau züchtig danebensitzt und nur hin und wieder den Töchtern Ermahnungen zuraunt, scheint sich die Kleinste für einen Nachtisch entschieden zu haben. Sie steht auf, schaut nicht zu Mutter, die sie zornig anblickt, und geht, sich ein cremiges Stück Torte zu holen. Ja, die Auswahl ist echt toll. Selbst wenn sie niedlich angezogen ist, sieht man ihr die Angst mehr als nur an, unter der sie diesen offensichtlichen Frevel begeht. Mit zittrigen Fingern und Armen kommt sie zurück. Vielleicht erwartet sie nun gleich Schläge oder zumindest eine längere Predigt, die ihr den Appetit verdirbt?
Nichts passiert… noch. Dann sitzt sie mit dem Löffel in der Hand am Tisch und der Bruder greift sich einfach ihren Teller, hält ihn vor sich und kracht das Stück Torte auf seine Knochenreste, die auf einem kleinen Teller neben seiner Cola liegen.
Ich halte die Luft an. Mutti hat fast Tränen in den Augen. Das Mädel aber heult wirklich los. Sie glaubte vielleicht, dass sie nun doch etwas essen kann, was ihr schmeckt. Egal, ob es ihr wirklich geschmeckt hätte. Und was passiert?
Die Mutter holt aus, knallt ihr die sehr schnelle und scheinbar Schläge verteilen gewohnte Hand auf den Hinterkopf, wo das Mädel die Schleife mit einer Spange am Haar befestigt hat. Na, Frau Bongo, wenn das mal nicht ein Eigentor war!
Natürlich weint das Mädel nun noch mehr, was den Vater wütend macht und ihn veranlasst, noch zwei, drei Worte zu zischen, was die Tochter sofort verstummen lässt. Sie scheint zu wissen, was sie erwartet, wenn sie sich noch weiter danebenbenimmt.
Die Mutter hält sich jedoch die Hand, scheint sich ernsthaft wehgetan zu haben, was gleich den Sohn veranlasst, der verbrecherisch arbeitenden Schwester den Fuß ins Schienenbein zu hauen, worauf sie zusammenzucken und laut aufschreit.
Das ist zu viel für Bongo.
Nicht würdevoll, aber recht schnell steht er auf und geht um den Tisch, klatscht seiner Tochter seine Affenpranke ins Gesicht, zerrt sie an den Haaren hoch und wie Schatten erheben sich alle Anderen, folgen ihm, als er das Kind neben sich herzerrend nach draußen bringt. Oh, wenn das mal nicht… na ja…
Das Personal tut zumindest so, als wenn es keinerlei Notiz von diesem Vorfall nimmt. Das allein ist ein Frevel, den man gleich dem Kinderschutzbund melden müsste. Jedoch... wer weiß, was das für ein Mann ist. Zumindest kein wirklicher Mensch, oder? Eher ein Affe. Das mit dem Bongo, ob nun als El Bongo oder, wie wohl jetzt eher passt, Don Bongo, das war eine richtige Idee.

Wir trinken aus. Die kommen sicher nicht wieder.
Beim Gehen wandern wir wie selbstverständlich um den Tisch der Familie herum. Noch hat man nichts abgeräumt. Die scheinen doch wirklich gefressen zu haben, wie die Schweine. Niemand stört sich scheinbar daran… Na ja, wenn er und seine Frau in aller Öffentlichkeit Kinder schlagen dürfen, wird der Rest wohl auch gestattet sein. Ich bin gespannt, ob wir das Mädel morgen beim Frühstück und auch am Tage sehen werden. Denn morgen haben wir erst zum Abend etwas Richtiges vor. Folklore… ‚Spanischer Abend'.
Ich darf jetzt nicht dran denken, sehe noch einmal auf das Tortenstück auf dem Abfallteller und folge meiner Mutti zum Lift. So einen Abschluss haben wir uns weder gewünscht, noch verdient. Aber leider haben wir nicht einmal den Hauch einer Chance, etwas dagegen zu tun. Hoffentlich legt ihm bald jemand das Handwerk, dem Don Bongo!

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